Registrierung
Begrüßung
Impulsvortrag
Stefano Morosini & Pietro Azzola (Bergamo)
Study, analysis, and enhancement of Bergamo's history through traces of its heritage
Apericena in Salvecchio
Moderation: Christiane Hohenstein
9.15 Uhr Plenarvortrag
Heike Roll (Duisburg-Essen)
„Heraus mit der Sprache!“ – sprachlich-ästhetische Lehr-Lernszenarien im Spannungsfeld von Sprachdidaktik und musealer Kunstvermittlung
Werke der bildenden Kunst eröffnen vielfältige Möglichkeiten für eine ganzheitliche und erfahrungsbezogene Ausrichtung des sprachlichen Lernens. Ein besonderes Potential des sprachlich-ästhetischen Lernens am Lernort Museum besteht darin, die gegenstandsbezogene Wahrnehmung so zu aktivieren, dass eine authentische Kommunikation über das Kunstwerk in sprachliche Aneignungsprozesse eingebunden werden kann. Insbesondere die Verbindung von Bildern mit performativen Aufgaben und Schreibimpulsen bietet kreative Ansätze, um die Mehrdeutigkeit von Sprache(n) zu erschließen und auf diesem Wege die Vorstellungskraft zu stärken und kulturelle Teilhabe anzubahnen (Roll et al. 2017). Ein Spannungsfeld entsteht u.a. durch die Frage, ob das unmittelbare ästhetische Erleben durch die - gerade für die Zweit- und Fremdsprachdidaktik relevante - Wortschatzarbeit unterstützt oder nicht vielmehr eingeschränkt wird. Dies ist einer der Punkte, den Lehrkräfte an Schulen und Kunstvermittelnde an Museen auszuhandeln haben, wenn sie im Kontext von zunehmend geforderten Bildungspartnerschaften institutionenübergreifende Konzepte erarbeiten, um den musealen Ort als attraktiven, auch sprachbildend wirksamen Erfahrungsraum für Schülerinnen und Schüler öffnen (Deutscher Museumsbund e.V., 2015). Dieses Ziel verfolgte auch das Projekt „Heraus mit der Sprache“, das im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Kunsthistorischen Museum Wien und dem Institut DaZ/DaF an der Universität Duisburg-Essen (2022-2023) durchgeführt wurde. Der Vortrag beleuchtet einige ausgewählte Lehr-Lernszenarien, die für die Sekundarstufe I entwickelt wurden. Gezeigt wird, wie die gleichermaßen bildbezogenen und sprachaktivierende Aufgabenstellungen die diskursive Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit den Kunstwerken anregen konnten – oder auch verstellt haben. Ein Fokus liegt aus funktional-pragmatischer Sicht auf den für das museale Handeln relevanten deiktischen Mitteln der Aufmerksamkeitslenkung sowie der anschaulich-diskursiven Erarbeitung des Symbolfeldes.
Literatur
Deutscher Museumsbund e.V. (2015): Museen, Migration und kulturelle Vielfalt. Handreichung für Museumsarbeit. Abgerufen am 1.11.2024 von https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2019/04/2015-leitfaden-migration.pdf.
Kunsthistorisches Museum Wien (2022): Heraus mit der Sprache! Sprachsensible Vermittlung in Museum und Schule. Abgerufen am 1.11. 2024 von https://herausmitdersprache.khm.at.
Roll, H., Baur, R. S., Okonska, D., Schäfer, A. (2017): Lehr- Lernmaterialien für einen fachübergreifenden Deutsch- und Kunstunterricht. Münster/ New York: Waxmann.
Grußwort des Direktors Raul Calzoni (Dipartimento di Lingue, Letterature e Culture Straniere)
10.15-10.30 Uhr Kaffeepause
Moderation: Shinichi Kameyama
10.30 Uhr
Vincenzo Damiazzi (Mailand)
Prosodische Merkmale evaluativer und subjektiver Sprachverwendung in Gemäldebeschreibungen
Die vorliegende Studie befasst sich mit der Rolle der Prosodie in subjektiven und evaluativen Beschreibungen von Kunst in YouTube-Videos mit für die jüngeren Generationen relevanten deutschen Medienpersönlichkeiten, die über Gemälde aus dem Städel Museum in Frankfurt diskutieren. Die Prosodie spielt eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Emotionen und Emphase in der gesprochenen Sprache. Sie ermöglicht es den Sprechenden, komplexe Interpretationsebenen und emotionale Beteiligung auszudrücken (vgl. Gussenhoven, 2004; Ladd, 2008; Kehrein, 2013). In ästhetischen Kontexten konnte nachgewiesen werden, dass prosodische Elemente die evaluative Sprache verstärken und den Zuhörenden Hinweise auf das Verständnis der emotionalen Intensität, der Einstellung der Sprechenden sowie der interpretativen Haltung geben (vgl. Scherer, 2003; Juslin & Laukka, 2003).
Im Rahmen der vorliegenden Analyse erfolgt eine Untersuchung insbesondere der prosodischen Merkmale. Dazu zählen globale Prominenz, Intonationskonturen (beispielsweise fallend, steigend, gleichbleibend), Tonhöhenakzentpositionen, Sprechtempo sowie weitere suprasegmentale Merkmale. Gegenstand der Untersuchung sind Äußerungen, die subjektive Modifikatoren (beispielsweise ich denke, es scheint) und evaluative Begriffe (beispielsweise Meisterwerk, beunruhigende Figur) enthalten. Ziel der vorliegenden Studie ist es, durch prosodische Analyse zu untersuchen, wie persönliche Interpretationen von Kunstwerken konstruiert und kommuniziert werden und wie Prosodie die ästhetische Kommunikation prägt.
Des Weiteren bieten digitale Videoplattformen wie YouTube ein innovatives Medium zur Untersuchung von Sprache in kulturellen Einrichtungen, indem sie spontane, öffentliche Diskurse über Kunst dokumentieren. Die identifizierten prosodischen Muster erlauben die Dekodierung der Art und Weise, wie die Sprechenden ihr kognitives und emotionales Engagement für Kunst kommunizieren und historische Kunstwerke für ein modernes Publikum relevant machen (vgl. Couper-Kuhlen, 2018; Niebuhr, 2017). Des Weiteren wird in der Studie die Funktion der Prosodie in der digitalen kulturellen Kommunikation beleuchtet. Dabei wird aufgezeigt, dass Intonation und Sprechrhythmus dem Publikum dabei helfen, sich mit Kunst über den visuellen Bereich hinaus zu verbinden.
Literatur
Couper-Kuhlen, E. (2018). Prosody in interaction. Cambridge University Press.
Gussenhoven, C. (2004). The phonology of tone and intonation. Cambridge University Press.
Juslin, P. N., & Laukka, P. (2003). “Communication of emotions in vocal expression and music performance: Different channels, same code?”. Psychological Bulletin, 129(5), 770.
Kehrein, R. (2013). Prosodie und Emotionen. de Gruyter.
Ladd, D. R. (2008). Intonational phonology. Cambridge University Press.
Niebuhr, O. (2017). Prosody in speech interaction. de Gruyter.
Scherer, K. R. (2003). “Vocal communication of emotion: A review of research paradigms”. Speech Communication, 40(1), 227-256.
10.50 Uhr
Elmar Josef Renner (Kopenhagen)
Der Bollywood-Song Kāga re aus dem Film Rockstar (2011). Sprachliches Handeln philologisch beleuchtet
Der Film Rockstar (2011) zählt zu den Klassikern des zeitgenössischen hindisprachigen Kinos. Darin geht der Filmemacher Imtiaz Ali (geb. 1971) der Frage nach, was Musik „zum Rocken bringt“ – d.h. was einen wahren Künstler ausmacht. Ali entwickelt die Antwort auf diese Frage allegorisch anhand einer Erzählung, die von der Wandlung des Studenten Janārdhan zum international berühmten Star Jordan handelt. Dabei setzt Ali u.a. die Motiv-Palette der (indo-)persischen Literaturtradition wirksam ein und entwirft das Werden des Künstlers als ein Überschreiten der Grenzen der bürgerlichen Welt und ein Sich-Verlieren in der Welt von Bohémiens (pañjāre) und Heiligen (qalandar) – angetrieben vom Drang der sensiblen Künstlerseele (vgl. śāyar ‚Poet‘ < Arab. śāʿir wörtl. ‚der Fühlende‘), dem Schmerz Ausdruck zu verleihen, der durch die Trennung vom wahren Geliebten verursacht ist. Instrumental für das Auffinden dieses Schmerzes ist Hīr, die Protagonistin, deren Geschichte von Selbstverwirklichung durch Selbstaufgabe (vgl. qurbānī ‚das Opfer‘) einen zweiten, komplementären Handlungsstrang bildet. Der Song Kāga re markiert dabei einen wichtigen Durchbruch auf dem Weg zur Selbstverwirklichung.
Der folgende Beitrag ist an der Schnittstelle von Angewandter Sprachwissenschaft und Südasienkunde angesiedelt. Untersucht werden soll, ob und wie Verfahren der Textquellenanalyse, wie sie das kulturwissenschaftlich-philologische Arbeiten in den Südasienwissenschaften verlangt, handlungstheoretisch begründet werden können. Im Zentrum steht dabei das Problem, dass Diskurse und Texte, die für sich genommen die sprachliche Dimension des menschlichen Handelns darstellen, für die Philologie als Quellen erst mediatisiert – nämlich in der Gestalt einer vom konkreten Handlungszusammenhang abstrahierten, verobjektivierten Form – greifbar werden. Die philologischen Deutungsverfahren, die sich auf einem Kontinuum zwischen Form und Funktion erstrecken – einer polaren Kategorialität, die sich methodisch zwangsläufig so ergibt – müssen sowohl die formpointierte Deutung auf der Grundlage der lexikalischen und grammatischen Bestimmungen sowie funktionspointierte Deutungsansätze im Rückgriff auf sog. text-immanente und -transzendente Kontexte umfassen.
In diesem Beitrag sollen zentrale philologische Deutungsverfahren exemplarisch anhand der Untersuchung des Songs Kāga re aufgezeigt werden und der Frage nachgegangen werden, wie ein analytischer Kategorienapparat verfasst sein muss, der in keinem Schritt von der Handlungscharakteristik von Sprache abstrahiert.
Literatur
Bühler, Karl ([1934] 1978) Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Ullstein.
Ehlich, Konrad ([1986] 2000) Funktional-pragmatische Kommunikationsanalyse: Ziele und Verfahren. In: Hoffmann, Ludger (Hg.) Sprachwissenschaft. Ein Reader. Walter de Gruyter, 183-201.
Ehlich, Konrad ([1998] 2007) Linguistisches Feld und poetischer Fall – Eichendorffs „Lockung“ in: Sprache und sprachliches Handeln, Band 2: Prozeduren des sprachlichen Handelns. Walter de Gruyter, S. 369-397.
Langacker, Ronald W. (2008) Cognitive Grammar. A Basic Introduction. Oxford University Press.
Schimmel, Annemarie ([1985 ] 1995) Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus. Insel.
11.10 Uhr
Daniel Düring (Dortmund) - online
Beschreibungen von parallel wahrnehmbaren Kunstwerken
Beschreibungen von Kunstwerken, die (bzw. deren Abbildung) parallel wahrnehmbar sind, stellen einen spezifischen Beschreibungstyp dar. Im Beitrag wird die These vertreten, dass hierbei eine Zweckverschiebung vorliegt, insofern, als es nicht um unmittelbares Vorstellbarmachen geht, sondern eine strukturierte, sukzessive Betrachtung initiiert und ein spezifischer Wissensaufbau angebahnt wird, und zwar hinsichtlich relevant gesetzter Aspekte. Insofern ein wissensmäßiges Aneignen von ‚Sinn‘ einer künstlerischen Darstellung – auf einer Ebene oberflächiger Beschaffenheit – ermöglicht wird, werden konstellative Ansatzpunkte für sprachliche und mentale Handlungen (z.B. Erklären, Bewerten, Analysieren) geschaffen.
Anknüpfend an handlungstheoretische Arbeiten zum Beschreiben (u.a. Rehbein 1984, Redder/Guckelsberger/Graßer 2013, Hoffmann 2018) wird im Beitrag anhand verschiedener Text- und Diskursbeispiele (Gemälde-Beschreibungen) (u.a.) den Fragen nachgegangen, welche Wissens- und Wahrnehmungsvoraussetzungen bei diesem Typ beansprucht werden, welche Zusammenhänge zwischen sprachlicher Handlungsverkettung beim Beschreiben und seitens H/L umzusetzender Sukzession der Bildbetrachtung sprachlich in Erscheinung treten, welche Formen der Synchronisierung mit deiktischen Mitteln (bei gemeinsamer Werkbetrachtung im Diskurs) differenziert werden können und wie sich Einbettungen in sprachliche Handlungszusammenhänge (Erklären, Deuten, Bewerten) zeigen.
Literatur
Hoffmann, Ludger (2018a): Schreiben: Beschreiben. Mit Blick auf Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands. In: Hoffmann, Ludger/Stingelin, Martin (Hg.): Schreiben: Dortmunder Poetikvorlesungen von Felicitas Hoppe: Schreibszenen und Schrift – literatur- und sprachwissenschaftliche Perspektiven. (= Zur Genealogie des Schreibens). Paderborn: Fink, S. 219-246.
Redder, Angelika/Guckelsberger, Susanne/Graßer, Barbara (2013): Mündliche Wissensprozessierung und Konnektierung. Sprachliche Handlungsfähigkeiten in der Primarstufe. Münster, New York: Waxmann.
Rehbein, Jochen (1984). Beschreiben, berichten und erzählen. In: Ehlich, Konrad (Hg.): Erzählen in der Schule. Tübingen: Narr, S. 67-124.
11.30 Uhr
Jessica Lesjak (Melbourne / Dortmund) - online
Kolonial kritische Kunst als Gegenstand sprachlichen und (inter-)kulturellen Lernens
Dieser Vortrag stellt vor, wie sich Kunst, die sich kritisch mit der deutschen Kolonialzeit und ihren Folgen auseinandersetzt, in besonderer Weise für kulturelles wie sprachliches Lernen zum Thema eignet. Das Schaffen, Ausstellen und textuelle Kommunizieren von Kunst zum Thema Deutsche Kolonialzeit wird als zweckhaftes gesellschaftliches Handeln erkannt. Als Referenzliteratur zu funktional-pragmatischer Analyse von Museumskommunikation dienen u.a. Nardi/Ravetto (2023) und Nardi/Engberg (2023), zu linguistisch-funktionaler Perspektive in der Kunstkommunikation Hausendorf/Müller (2016) und Hausendorf (2011).
Es werden Werke, ihre Ausstellungsgegebenheiten und ergänzende Texte der Künstlerinnen Cheryl McIntosh „Counter Thoughts, Counter Images“ (Bonn, 2024) und Lisa Hilli „Just His Wife“ (Bremerhaven, 2024) einer qualitativen Analyse unter funktional-pragmatischer Perspektive unterzogen. Beide Künstlerinnen vertreten eine Betroffenenperspektive auf die Kolonialzeit. Die Analyse betrachtet die Künstlerinnen mit ihrem kulturellen und sprachlichen Wissen und ihrem kommunikativen Anliegen als Produzentinnen. In ihrer Kunst nimmt das kommunikative Anliegen durch bild- wie sprachgestalterische Mittel Form an. Bildsprache, regionalspezifische Materialien und mehrsprachige schriftliche Elemente (in Werken, Broschüren und Instagram-Posts) kommen zum Einsatz. So legt zum Beispiel Hilli (2024) Schrift so über ein Foto, dass ausgewählte Bildinhalte bedeckt und andere somit in den Vordergrund gehoben werden. Das Narrativ des Bildes verändert sich. In der deutsch-englisch bilingualen Broschüre zur Ausstellung McIntoshs verdecken bildliche Gestaltungsmittel ausgewähltes kolonialgeschichtlich geprägtes Vokabular. Als Adressat:innen innerhalb der Werke fungieren teils die Kolonialherren selbst, während die Rezipient:innen je nach Ort und Medium der Kunstbereitstellung variieren: vom Ausstellungsraum in den digitalen Raum. Die kolonialthematische Komponente erweitert die fünf kommunikativen Aufgaben beim Sprechen oder Schreiben über Kunst nach Hausendorf (2011) (Bezugnehmen, Beschreiben, Deuten, Erläutern, Bewerten) um eine kultur- und sprachsensible Note. Eine Anwendung im DaF-Unterricht mit Lernenden aus ehemaligen deutschen Kolonien, aber auch Australien, wo (De-)Kolonisation ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema ist, bietet sich besonders an. Erfahrungen aus einem DaF-Kurs an einer australischen Universität werden bezüglich Potenziale und Limitierungen reflektiert.
Literatur
Hausendorf, Heiko & Müller, Marcus (2016). Formen und Funktionen der Sprache in der Kunstkommunikation. In: Hausendorf, Heiko/Müller, Marcus (eds.): Handbuch Sprache in der Kunstkommunikation. Berlin/Boston, de Gruyter: 3–48.
Hausendorf, Heiko (2011). Kunstkommunikation. In: Habscheid, Stephan (ed.): Textsorten, Handlungsmuster, Oberflächen: Linguistische Typologien der Kommunikation. Berlin, de Gruyter: 509–535.
Nardi, A., & Ravetto, M. (2023). Museumskommunikation als Dimension der Kunstkommunikation: Objekt- und adressatenorientierte Facetten. Linguistik Online, 124(6), 3–11. https://doi.org/10.13092/lo.124.10720.
Nardi, A., & Engberg, J. (2023). Museumskommunikation: Kulturspezifischer Wissenstransfer durch Audioguides. Linguistik Online, 124(6), 113–141. https://doi.org/10.13092/lo.124.10717.
11.50 Uhr
Gemeinsame Diskussion
12.30-14.00 Uhr Mittagspause
Moderation: Angelika Redder
14.00 Uhr Plenarvortrag
Winfried Thielmann (Chemnitz)
Sprache und Musik
Musik und Sprache treten im Gesang zusammen. Abgesehen von diskursiven Verfahren wie z.B. dem Gstanzlsingen handelt es sich bei der Sprachlichkeit, die mit Musik zusammentritt, typischerweise um Text. Hierdurch ergeben sich zwei grundsätzliche Blickrichtungen auf das Verhältnis von Musik und Sprache, nämlich diejenige der Vertextung von Musik bzw. diejenige der Vertonung von Text. In beiden Fällen wird durch das Musikalische der Äußerungsakt modifiziert. Im Vortrag werden diese Verhältnisse zunächst anhand eines Kinderliedes untersucht. Anschließend wird anhand von Beispielen aus der Gregorianik, des Frühbarock (Heinrich Schütz) und der Romantik (Franz Schubert) der Frage nachgegangen, wie sich das Verhältnis von Musik und Äußerungsakt gestaltet und ob Musikalisches auch auf Dimensionen des propositionalen und des illokutiven Aktes bezogen sein kann.
Literatur
Georgiades, Thrasybulos (1954) Musik und Sprache. Berlin/Göttingen: Springer.
Graefen, Gabriele/Liedke-Göbel, Martina (2020) Germanistische Sprachwissenschaft. Deutsch als Erst-, Fremd- oder Zweitsprache. Tübingen: Narr Francke Attempto.
15.00 Uhr
Miriam Morf (Macerata)
Der Einsatz expressiver Prozeduren in der Kunstkommunikation über Musik am Beispiel der Interviews des Geigers David Garrett
Kunstkommunikation bezeichnet eine Form der Kommunikation, die sich nicht auf die reine Kommunikation über Kunst beschränkt, sondern auch die Möglichkeiten der Kommunikation durch und mit Kunstwerk(en) in der Gesellschaft mit einbezieht. Sie umfasst sowohl den Austausch unter Fachpersonen, Vermittlungskräften und Kundschaft als auch die Kommunikation unter Laien (vgl. Hausendorf, Müller 2016: 4-5). Kunstkommunikation beinhaltet nicht nur sprachliche Äußerungen über ein Kunstwerk, sondern ebenfalls den Moment seiner Wahrnehmung. Dies trifft insbesondere auf die Kunstkommunikation im Bereich der Musik zu, bei der das Publikum nur selten durch verbale Darstellungen adressiert wird. In der Kunstkommunikation über Musik, beispielsweise bei Interviews oder Pressekonferenzen zur Ankündigung von Veröffentlichungen oder Tourneen, wenden Musizierende häufig überzeugende Ausdrucksformen an. Diese dienen dazu, das Publikum emotional zu fesseln und somit in ihre Kunst einzubeziehen. Daher kann die Analyse der verbalen Kunstkommunikation von Musikinterpreten als ein besonders interessantes Forschungsgebiet für die Sprachwissenschaft betrachtet werden.
Die Zielsetzung des vorliegenden Vortrags besteht in der Analyse des Sprechens über Musik, die durch die Untersuchung von Auszügen aus Interviews mit dem Geiger David Garrett erfolgt. Im Mittelpunkt stehen die expressiven Prozeduren (vgl. Redder 1994; Carobbio 2020), mit denen der Musiker über seine Kunst, das Crossover, und sein Instrument, die Geige, spricht. Aus handlungstheoretischer Perspektive lässt sich die Wissensvermittlung in der Kommunikation über Musikkunst durch den Vollzug verschiedener Sprechhandlungen beschreiben, beispielsweise das Beschreiben, das Erklären, das Verdeutlichen und das Illustrieren. Diese werden oft durch das Vorspielen am Instrument begleitet. Expressive Prozeduren sind insbesondere auf der prosodischen Ebene zu beobachten und treten am deutlichsten in einer Art des Erzählens hervor, die aus Sicht der funktionalen Pragmatik als erzählen2 bezeichnet wird (vgl. Ehlich 1983/2007). Im Gegensatz zum erzählen1, das als Oberbegriff für verschiedene sprachliche Aktivitäten wie Beschreiben und Berichten gilt und somit verschiedene Sprechhandlungen umfasst (Ehlich 1983/2007: 371-372), beschränken sich die Gegenstände des erzählen2 auf Erlebnisse, d.h. auf die Wiedergabe eines Ereignisses, an dem die Erzählenden selbst beteiligt sind. Dadurch wird ein affektiver Gemütszustand zum Ausdruck gebracht, der der eine bestimmte Zielsetzung verfolgt, nämlich die Hervorrufung eines ähnlichen Gemütszustandes bei den Zuhörenden (vgl. Ehlich 2010: 541). Auf diese Weise erlangen die Mitteilungen des Künstlers sowohl einen informativen als auch einen persuasiven Charakter.
Literatur
Carobbio, Gabriella (2020): „Prosodische Realisierungen expressiver Prozeduren am Beispiel einer politischen Rede“. In: Carobbio, Gabriella; Desoutter, Cécile; Fragonara, Aurora (Hergs): Macht, Ratio und Emotion: Diskurse im digitalen Zeitalter / Pouvoir, raison et émotion: les discours à l’ère du numérique. Bern: Peter Lang, 63-82.
Ehlich, Konrad (1983/2007): „Alltägliches Erzählen”. In: Ehlich, Konrad (Hrsg.): Sprache und sprachliches Handeln. Bd. 3. Berlin/New York: de Gruyter, 371-393.
Ehlich, Konrad (2010): „Prozedur“. In: Glück, Helmut (Hg.): Metzler Lexikon Sprache, 4. aktualisierte und überarbeitete Aufl. Stuttgart/Weimar: Metzler, 541–542.
Hausendorf, Heiko; Müller, Marcus (2016): „Formen und Funktionen der Sprache in der Kunstkommunikation“. In: Heiko Hausendorf, Marcus Müller (Hrsg.): Handbuch Sprache in der Kunstkommunikation. Berlin/Boston: de Gruyter, 3-48.
Redder, Angelica (1994): „Bergungsunternhemen“. In: Brünner, Gisela; Graefen, Gabriele (Hrsg.): Texte und Diskurse. Methoden und Forschungsergebnisse der Funktionalen Pragmatik. Wiesbaden: Springer, 238-264.
15.20 Uhr
Federica Ricci Garotti (Trient)
Kommentierte und bewertende Sprechhandlung in italienischen und deutschen Opernrezensionen: Eine kontrastive Analyse
Die Textarten werden in den jeweiligen Sprachen und Kulturen von unterschiedlichen Texttraditionen und Sprachnormen geprägt. Die daraus resultierende Textentfaltung kann deshalb kontrastiv analysiert werden, um zu verstehen, ob und wie sich dieselbe Texttypologie durch die unterschiedliche Realisierung von Sprechhandlungen entwickelt (Brünnen & Graefen 1994). Die vorliegende Untersuchung präsentiert einen Vergleich zwischen jeweils 20 italienischen und deutschen Rezensionen von Operndarstellungen, die 2022-2023 in online-Zeitungen erschienen. Die spezifische Textsorte verbindet zwei Perspektiven, die kommunikative und die ästhetische: Auf einer Seite verweisen die analysierten Texte auf die Realisierung der Sprechhandlungen „Kommentieren“ und „Bewerten“ (Fandrych & Thurmair 2022), auf der anderen Seite bedienen sich die Autoren und Autorinnen ästhetischer Kategorien wie Originalisieren, Dramatisieren, Spektakularisieren, Theatralisierung im Hinblick auf das kreative kommunikative Handeln von Journalisten, die die ästhetische Qualität der Darstellung kommentieren bzw. bewerten müssen (Hoffmann 2012).
Ziel des Beitrags ist es, auf der Basis der im Korpus gesammelten Texte die jeweilige Textfunktion und die sprachlich-stilistischen Merkmale in deutschen und italienischen Rezensionen zu identifizieren.
Literatur
Fandrych, Christian, Thurmair, Maria 2022. „Komprimieren, Einordnen, Bewerten: Attribute in ausgewählten Textsorten der Kunstkommunikation“. In: Attribution in Text, Grammatik, Sprachdidaktik. Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, vol 13. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
Hoffmann, Michael 2012. „Kreativität im Journalismus der DDR: Kolumnen, Porträts und Interviews der Zeitschrift "Filmspiegel" als Beispiel“. In: Christian Groesslinger; Gudrun Held; Hartmuth Stöckl (Hrsg). Pressetextsorten jenseits der "News": medienlinguistische Perspektiven auf journalistische Kreativität. Frankfurt am Main: Lang.
Brünner, Gisela & Graefen, Gabriele (Hrsg.) 1994. Texte und Diskurse. Methoden und Forschungsergebnisse der funktionalen Pragmatik. Opladen: Westdeutscher Verlag.
15.40 Uhr
Gemeinsame Diskussion
16.00 Uhr Kaffeepause und Poster-Sektion
Laura Santoni (Rom)
„Durch die Augen des Nachbarn“: Deutschland- und Italienbilder in der italienischen und deutschen Presse (1945-1963)
Zeitungen als kulturelle Produktionsform prägen das kollektive Bewusstsein und beeinflussen die Wahrnehmung anderer Kulturen – und damit auch die Beziehungen zwischen ihnen. Das vorliegende Projekt zielt darauf ab, die Entwicklung der Deutschland- und Italienbilder kontrastiv zu untersuchen, wie sie durch die Pressesprache ausgewählter Tages- und Wochenzeitungen zwischen 1945 und 1963 vermittelt wurden. Obwohl es auf institutioneller Ebene schon länger wiederholt wird, dass das deutsch-italienische Verhältnis gut, eng und vielseitig ist, stimmt der Stand der offiziellen bilateralen Beziehungen nicht immer mit dem Bild überein, das in der Öffentlichkeit über das andere Land bzw. die andere Kultur herrscht. Über die Jahre hinweg haben auch die Medien wesentlich zur Tradierung negativ geprägten und stereotypbeladener Deutschland- und Italienbilder beigetragen.
Die Studie umfasst den Aufbau zweier umfangreicher, spezialisierter und diachroner Korpora ausgewählter Zeitungsartikel und stützt sich auf den forschungsmethodologischen Ansatz der Corpus Assisted Discourse Studies (Partington et al., 2013), der Verfahren der linguistischen Diskursanalyse und der Computerlinguistik kombiniert. Diese Disziplin entwickelte sich infolge der zunehmenden Digitalisierung und des pragmatic turn der 1960er-Jahre und brachte ein wachsendes Interesse an empirisch-quantitativen Analysen authentischer Sprachdaten hervor, insbesondere in den sozial- und kulturwissenschaftlichen Zweigen der Linguistik. Durch klassische, datengestützte Methoden der Korpuspragmatik (u.a. Keyword-Analyse, Kollokationen, N-Gramme) und spezifische Corpus Query Tools werden hier signifikant häufig auftretende Sprachgebrauchsmuster (vgl. Bubenhofer 2009) untersucht, die als Ausdruck wiederkehrender Sprachhandlungen der Autorinnen und Autoren oder der sie repräsentierenden Institutionen und Gruppen interpretiert werden können. Dies soll dabei helfen, die Entwicklung des Diskurses über nationale Bilder zu rekonstruieren und zu bewerten, wie Phasen politischer Krisen und Entspannungen die Wahrnehmung des jeweils anderen Landes beeinflusst haben.
Yannik Weber (Hildesheim)
Artikel und Aspekt: prozedurale Annäherungen
Für das Russische (eine Sprache ohne Artikel) werden einige sprachliche Mittel vorgeschlagen, die zum Ausdruck von Artikelfunktionen dienen könnten. Einer dieser „Kandidaten“ ist der Verbalaspekt, welcher nach traditioneller Ansicht eine bestimmte Sicht auf einen verbal ausgedrückten Sachverhalt markiert und häufig mit der Opposition perfektiv vs. imperfektiv (vollendet vs. unvollendet) beschrieben wird. Leiss (2000: 239) formuliert z. B. in radikaler Weise, dass Artikel und Aspekt „grammatische Synonyme“ seien, die in ihrer Kernfunktion Definitheit ausdrücken. Dieser Gedanke, dass (der deutsche) Artikel und (der russische) Aspekt vergleichbare Funktionen erfüllen können, wird auch in einigen slavistischen Untersuchungen angesprochen, aber dennoch nicht hinreichend näher expliziert (vgl. z. B. Birkenmaier 1979 oder Gladrow 1979).
Die vorliegende Posterpräsentation stellt auf Basis von ersten Analysen authentischer Texte (deutschsprachige und russischsprachige Berichterstattung über den sog. Mauerfall) Überlegungen zu diesem Problem aus funktional-pragmatischer Perspektive an. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion der Aspektkategorie aus einem pragmalinguistischen Blickwinkel ein Desiderat, weshalb insbesondere die Frage der prozeduralen Einordnung des russischen Aspekts fokussiert wird.
Die angestellten Überlegungen könnten einerseits eine Grundlage für eine weiterführende systematischere Reflexion der russischen Grammatik aus dem Blickwinkel der Funktionalen Pragmatik legen. Andererseits bieten sich hier Anknüpfungspunkte an angewandte Perspektiven an (z. B. Grammatik- bzw. Artikelvermittlung im Deutschen).
Literatur (Auswahl)
Birkenmaier, Willy (1979): Artikelfunktionen in einer artikellosen Sprache. Studien zur nominalen Determination im Russischen. Zugl.: Tübingen, Univ., Habil.-Schr. München: Fink (Forum slavicum, 34).
Ehlich, Konrad (2003): Determination. Eine funktional-pragmatische Analyse am Beispiel hebräischer Strukturen. In: Ludger Hoffmann (Hg.) Funktionale Syntax: Prinzipien und Prozeduren. Berlin/New York: de Gruyter, S. 307-334.
Ehlich, Konrad (2021): „Aspekt“ – Aspekte einer Kategoriensuche. In: Markus Witte, Brinthanan Puvaneswaran (Hgg.) Tempus und Aspekt in den Alten Sprachen. Tense and Aspect in Ancient Languages. Kamen: Hartmut Spenner / KUSATU (Kleine Untersuchungen zur Sprache des Alten Testaments und seiner Umwelt) 24, S. 5-70
Gladrow, Wolfgang (1979): Die Determination des Substantivs im Russischen und Deutschen. Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Philos. Fak., Diss., 1972. Verlag Enzyklopädie, VEB, Leipzig.
Leiss, Elisabeth (2000): Artikel und Aspekt. Die grammatischen Muster von Definitheit. Berlin, New York: De Gruyter (Studia linguistica Germanica, 55).
Interdisziplinäres Projekt IGENI (Italy-Germany Networking Initiatives) for Art Communication and Promotion
IGENI ist ein dreijähriges, von der Alexander von Humboldt-Stiftung (Humboldt-Preis 2022) gefördertes Projekt, das sich zum Ziel setzt, Kommunikationsmodelle und -formate in der italienischen und deutschen Sprache für kleinere und mittlere Kunstmuseen, -hallen und -ausstellungen zu erarbeiten, die auf andere Museumsarten und auf die Kommunikation in anderen Fremdsprachen übertragen werden können. Dafür sind Kompetenzen und Expertisen im Bereich der Museumskommunikation, Sprach- und Übersetzungswissenschaft, Digitalisierung, neuer Medien und multimodaler Kommunikation sowie neue Formen universitärer Ausbildung erforderlich.
Das IGENI-Projekt will ein internationales Forschungsnetzwerk aufbauen, das einen regen Informations- und Kompetenzaustausch sowie eine beständige Zusammenarbeit zwischen Universitäten auf der einen Seite und Museen, Kunsthallen, Ausstellungen auf der anderen Seite fördert – mit Vorteilen für alle beteiligten Akteure. Wichtige Themenschwerpunkte des Netzwerks sind:
(i) mehrsprachige interkulturelle Museumskommunikation: crossmedial, interaktionell und partizipativ;
(ii) innovative digitale und multimodale Kunstvermittlung: Einsatz digitaler Technologien bzw. Integration von analogen und digitalen Medien vor, bei und nach dem Museumsbesuch: zur Überwindung von Sprachbarrieren und gleichzeitige Förderung einer aktiven Teilnahme der Museumsbesucher:innen;
(iii) Tourismusmarketing: innovative Marketingkonzepte, die speziell auf die Bedürfnisse eines internationalen Publikums ausgerichtet sind.
Moderation: Dorothee Heller
17.00 Uhr Plenarvortrag
Konrad Ehlich (Berlin)
Sprachwissenschaft betreiben – Gründe, Hintergründe, Untergründe
Sprache erscheint als ein selbstverständlicher Teil dessen, womit sich Wissenschaft befasst. Der disziplinär vielfältig aufgefächerte Bereich gesellschaftlicher Tätigkeiten, der als Wissenschaft verstanden wird, weist sowohl in seinen institutionellen Organisationsformen wie in den Objektfeldern seiner Tätigkeiten der Sprache einen eigenen und umfangreichen Ort zu.
Diese Selbstverständlichkeit verliert sich freilich, sobald man sich genauer mit ihr befasst. Schon die interkulturellen Benennungspraktiken verunsichern – und das nicht nur hinsichtlich der semantischen Deckunsgungleichheiten der Benennung (etwa „Wissenschaft“ vs. „science“ oder gar (adjektivisch) „linguistic“ vs . „sprachlich“ und „sprachwissenschaftlich“). Auch „Sprache“, also das vermeintlich Selbstverständlichste in dieser Selbstverständlichkeit, verschwimmt bei solchem Vergleich schnell in extensionaler und vor allem in intensionaler Diffusion.
Als einen sehr alten Teil dessen, was institutionell abgesichert als Sprachwissenschaft betrieben wird, kennzeichnet solche Diffusität diese verstärkt - bis hin zur Unkenntlichkeit.
Spurensuchen, Institutionsanalysen und Bemühungen um Aufklärung sich derart verdunkelnder Bezüge, die über Betriebsblindheit weit hinausgehen, stoßen auf mehr Hinderungen, als man vermuten und als man wünschen möchte: - wieso?
Über derartige offene Fragen lohnt sich ein Nachdenken, das Gründen, Hintergründen und Untergründen nachgeht.
Der Beitrag setzt Überlegungen fort, die ich bei der Chemnitzer FP-Tagung vorgetragen habe.
18.00 Uhr Mitgliederversammlung GFP
ab 20 Uhr
Gemeinsames Abendessen im Restaurant “La Marianna“
Moderation: Stephan Schlickau
9.00 Uhr
Stephanie Risse (Bozen)
Demokratische Sprachenpolitik in Zeiten des Kriegs
Basierend auf einer Makroanalyse und daraus abgeleiteten Empfehlungen für das Zentralasiatische Bildungsprogramm (CAEP) des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten (HKN) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) (Risse 2020) Thesen für eine demokratische und konfliktmindernde Sprachenpolitik vorgestellt. Das CAEP wurde 2012 ins Leben gerufen und war 2020 von der Schließung bedroht. Die Referentin konnte mit ihrem, im Dezember 2020 vorgestellten Bericht (Risse 2020), das Büro des HCNM davon überzeugen, das mehrsprachige Bildungsprogramm in den Zentralasiatischen Staaten weiter finanzieren zu lassen.
Die Analyse ist orientiert an der Methodik des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) und auf interdisziplinäre Arbeiten der Gewaltforschung (Meller/Michel/van Schaik 2024; Baberowski 2015) bezogen. Vor dem Hintergrund langjähriger, breit angelegter Studien in mehrsprachigen Schulen auf dem afrikanischen Kontinent beschreibt Heugh (2023) den „southern multilingualisms” an Schulen, der sich wiederum mit Ergebnissen historischer Arbeiten zu Mehrsprachigkeit in Europa (Schjerve-Rindler 2003, Ehlich 2006; Boaglio 2025) deckt: In Bildungsinstitutionen verankerte Mehrsprachigkeit kann in Regionen, die aufgrund der Faktoren “Sprache und Kultur” als konfliktgefährdet eingestuft werden (Wagschal et al. 2010), stabilisierend wirken. Angesichts dessen ist die selbstverständlich hingenommene Durchsetzung des sprachimperialistischen “English-only” (Phillipson 2003) in Zeiten des Krieges in Europa fatal. Skutnabb-Kangas (2000) warnte bereits vor einem “sprachlichen Völkermord in der Bildung”; dem sollte gerade Europa mit seinen Beispielen institutionalisierter Mehrsprachigkeit entgegen steuern.
Literatur
Baberowski, Jörg (2015): Räume der Gewalt. Frankfurt am Main: S. Fischer.
Boaglio, Gualtiero (2025): L’italiano nell’impero absburgico. Appunti di storia della lingua all’alba del novecento. Firenze: Franco Cesati Editore.
Duchêne, Alexandre (2008): Ideologies across Nations. The construction of Linguistic Minorities at the United Nations. Berlin: Mouton de Gruyter.
Ehlich, Konrad (2006): "Mehrsprachigkeit als europäische Aufgabe". In: Mehrsprachigkeit in Europa. Tagungsband 24.–26.08.2006 Bozen, hg. von Andrea Abel/Mathias Stuflesser/Magdalena Putz. Bozen: Europäische Akademie Bozen, 17–31.
Heugh, Kathleen (2023): "Language policy, planning, and mobilisation in post-colonial civil societies". In: Gazzola, Michele et al. The Routledge Handbook of Language Policy and Planning. UK Taylor Francis. 113.131. https://doi.org/10.4324/9780429448843.
Meller, Harald; Michel, Kai; van Schaik, Carel (2024): Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte. München: dtv.
Phillipson, Robert (2003): English - only Europe? challenging language policy. London: Routledge.
Risse, Stephanie (2020): Report and Recommendations Central Asia Education Programme of the OSCE High Commissioner on National Minorities. 10th December 2020. Unveröffentlichter Bericht.
Schjerve‐Rindler, Rosita (Hg.) (2003): Diglossia and power. Language policies and practice in the 19th century Habsburg empire. Berlin: Mouton de Gruyter.
Skutnabb-Kangas, Tove (2000): Linguistic genocide in education - or worldwide diversity and human rights? Lawrence Erlbaum Associates, Mahwah, New Jersey & London.
Wagschal, Uwe; Croissant Aurel; Metz, Thomas; Trinn, Christoph; Schwank, Nicolas (2010): "Kulturkonflikte in inner- und zwischenstaatlicher Perspektive". In: Zeitschrift für internationale Beziehungen, (1), 7-39.
9.20 Uhr
Christoph Breitsprecher (Hamburg)
„Ach so. Ich dachte, das ist ne Tatsache.“ – Schülerrezeption von Modalitäten in Klimadiskursen
Ist, beispielsweise, der Import von grünem Wasserstoff aus Nordafrika nach Deutschland bereits gesellschaftliche Wirklichkeit oder noch Gegenstand politisch-wirtschaftlicher Planungen? Allein die Rezeption vieler Texte und Diskurse zur deutschen Wasserstoffstrategie erweist sich hinsichtlich der sachlichen Wirklichkeits- und Handlungsmodalitäten als anspruchsvoll, da die illokutiven Qualitäten des Dargestellten oft undeutlich gehalten sind. Wird die Wasserstofflösung nur sprachlich im Kontext der Energietransformation deliberiert – und ihr insofern quasi eine "Bühne" geboten – oder zum Zweck einer gemeinschaftlichen Lösungsfindung thematisiert? Ein produktives Umgehen von Schülerinnen und Schülern mit solchen Diskursen wird so besonders erschwert.
Am Beispiel einer Folge von Primärtexten, Aufgabenstellungen, Peer-to-peer-Diskursen und Lösungsversuchen für einen eigenen Podcast bzw. eine Wandzeitung in einer gymnasialen MINT-AG der Sekundarstufe I werden einige sprachliche Bearbeitungsformen handlungsanalytisch rekonstruiert. Übergeordnet ist die Fragestellung, welche Möglichkeiten sprachlichen Handelns sich durch diese Formen der Modalisierung bezüglich des Denkens und Sprechens in Zusammenhängen ergeben bzw. durch ihr Fehlen nicht zugänglich sind. Statt Zusammenhänge z. B. abwägend herzustellen und einen Problemlösungsdiskurs auf diese Weise explorativ in Bewegung zu halten, droht etwa der Kurzschluss in Richtung vereinfachter Schwarz-Weiß-Ergebnisse.
Welche Richtung im konkreten sprachlichen Handeln jeweils eingeschlagen wird, hängt – so soll gezeigt werden – maßgeblich von der jeweils zu realisierenden Text- bzw. Diskursart und dem Aktantenwissen darüber ab. Dieses Wechselverhältnis wird im Sinne von Redders Kompetenzgitter (2013) gefasst, das Wechselverhältnisse zwischen sprachlichen (Basis-)Qualifikationen im Sinne von Ehlich (2005) diagnostisch aufgreift. Die Beispielanalyse erfolgt anhand von Texten und Diskursen aus dem Münsteraner Teilprojekt des BMBF-Verbunds ARCHĒ – "Adaptive Sprachförderarchitektur am Beispiel der Konnektoren im Klima- und Energiediskurs" (Anne Berkemeier, Angelika Redder, Winfried Thielmann & Jonas Wagner, Laufzeit: 2022-27).
Literatur
Ehlich, Konrad (2005) Sprachaneignung und deren Feststellung bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund: Was man weiß, was man braucht, was man erwarten kann. In: Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung als Grundlage für die frühe und individuelle Förderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund, hrgg. von Ursula Bredel und Konrad Ehlich, BMBF, 11–75.
Redder, Angelika (2023) Sprachliches Kompetenzgitter – Linguistisches Konzept und evidenzbasierte Ausführung. In: Sprachförderung und Sprachdiagnostik – interdisziplinäre Perspektiven, hrgg. von Angelika Redder und Sabine Weinert, Waxmann, S. 108–34.
9.40 Uhr
Kristin Bührig & Anna Wamprechtshammer (Hamburg)
Vulnerabilität und Beistand. Exemplarische Untersuchungen zu Konstellationen therapeutischer Kommunikation im Rahmen einer ‚funktional-pragmatischen Diskursanalyse‘.
Die ‚prinzipielle Vulnerabilität‘ des Menschen (Streich 2009) bzw. des Menschseins (Lehmeyer 2018) betrifft besonders die Menschen, die aufgrund erfahrener und drohender Gewalt fliehen müssen. In der Bearbeitung ihrer Lebenslage nach der Flucht sind sie oftmals auf Unterstützung und Betreuung angewiesen. Erste Anlaufstellen für eine kostenlose Unterstützung und Hilfe für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen, die psychisch belastet oder erkrankt sind, bieten Vereine und Organisationen unterschiedlicher Trägerschaften an. Die Kommunikation mit hilfesuchenden Menschen vor Ort erfolgt oftmals in gedolmetschter Form. Dies zeichnet die Arbeit der betreffenden Einrichtungen gegenüber anderen Praxen psychotherapeutischer Versorgung aus, da vorliegende Studien aus dem Bereich der medizinischen Psychologie deutlich machen, dass die Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeut:innen und Dolmetscher:innen in Deutschland bislang noch nicht zur gängigen Versorgungspraxis gehört (Gartner et al. 2024), da sowohl strukturelle Barrieren als auch subjektive Bedenken dazu führen, dass eine Zusammenarbeit abgelehnt wird (Gartner 2014, Hanft-Robert et al. 2018). „Wie funktioniert die gedolmetschte Kommunikation in Konstellationen mit vulnerablen Klient:innen in den Einrichtungen für Menschen, die haben fliehen müssen?“ Unter dieser Frage möchten wir in dem geplanten Tagungsbeitrag erste Ergebnisse aus dem DFG-Projekt „Dolmetschen in der Psychotherapie“ präsentieren. Dabei geht es uns um eine Untersuchung kommunikativer Charakteristika der Gespräche, mit denen die psychische Gesundheit der Klient:innen angesichts ihrer oft unklaren Lebenslage in der Gegenwart und den belastenden Erfahrungen der Vergangenheit gestützt wird. Um herauszufinden, was die Möglichkeiten und Potenziale, aber auch die Herausforderung dieser Formen sprachlichen Handelns sind, streben wir einen Vergleich der uns vorliegenden Gesprächsdaten mit Befunden zu kommunikativen Charakteristika von Konstellationen des Beratens (Hartog 1996, Kallmeyer 2000) des Coachings (Graf et al. 2011) sowie zu monolingualen Psychotherapien (Scarvaglieri 2011, Beiträge in Graf et al. 2019) an.
Literatur
Gartner, K., Mösko, M., Becker, Julia C. & Hanft-Robert, S. (2024). Barrier to use of interpreters in outpatient mental health care: exploring the attitudes of psychotherapists. Trans-cultural Psychiatry, 1-13.
Graf, Eva-Maria, Aksu, Yasmin, Pick, Ina & Rettinger, Sabine (2011). Beratung, Coaching, Supervision: Multidisziplinäre Perspektiven vernetzt. Springer: Wiesbaden.
Graf, Eva-Maria, Scarvaglieri, Claudio & Spranz-Fogasy, Thomas (Hg.) (2019) Pragmatik der Veränderung - problemlösungsorientierte Kommunikation in helfenden Berufen. Tübingen: Narr, Francke, Attempto.
Hartog, Jennifer (1996) Das genetische Beratungsgespräch. Institutionalisierte Kommunikation zwischen Experten und Nicht-Experten. Tübingen: Narr.
Kallmeyer, W. (2000). Beraten und Betreuen. Zur gesprächsanalytischen Untersuchung von helfenden Interaktionen. In: Zeitschrift für Qualitative Forschung – ZfQ Jg 1 (2000) Nr. 2, S. 227-252.
Lehmeyer, Sonja (2018) Vulnerabilität. In: Riedel, Annette; Linde, Anne-Christin (Hrsg.): Ethische Reflexion in der Pflege. Konzepte – Werte – Phänomene. Wiesbaden: Springer, 75-85.
Scarvaglieri, Claudio (2013): “Nichts anderes als ein Austausch von Worten“: sprachliches Handeln in der Psychotherapie. Berlin: de Gruyter.
Streich, Waldemar (2009) Vulnerable Gruppen: „Verwundbarkeit” als politiksensibilisierende Metapher in der Beschreibung gesundheitlicher Ungleichheit. In: Richter, Matthias; Hurrelmann Klaus (Hrsg.): Gesundheitliche Ungleichheit. Wiesbaden: Springer, 301-309.
10.00 Uhr
Gemeinsame Diskussion
10.30-11.00 Uhr Kaffeepause
Moderation: Antonie Hornung
11.00 Uhr
Matthias Meiler (Chemnitz)
Zum Handlungsbegriff der linguistischen Pragmatik – Revision, Bilanz, Kritik
Nicht erst die Diskurs-Hysterie um KI, die ChatGPT im Winter 2022/23 ausgelöst hat, hat Fragen nach dem Verhältnis von Technik und Handeln relevant werden lassen, wie man etwa mit Blick in die Techniksoziologie (Rammert 2016) und Medienwissenschaft (Thielmann/Schüttpelz 2013) schnell einsieht. Gleichwohl wurden diese Fragen – gerade innerhalb der Linguistik – dadurch noch einmal neu und anders gestellt nicht zuletzt, weil mit den mittlerweile geradezu popularisierten Large Language Models und den Anwendungen, die auf ihnen beruhen, in prominenter Weise Sprachtechnologien von vermeintlich genuin neuer Qualität unmittelbar in Alltag und Institutionen eindringen. Handeln und gerade auch sprachliches Handeln mit, durch und unter Technik ist allgegenwärtig.
Vor diesem Hintergrund scheint es angezeigt, den Handlungsbegriff der linguistischen Pragmatik daraufhin zu prüfen, inwieweit er einerseits aktuellen Entwicklungen gewachsen ist und inwieweit er andererseits anschließbar ist an die interdisziplinäre Beschäftigung mit dem Verhältnis von Technik und Handeln. Der Vortrag knüpft an das strukturierte Forum an, das sich auf der Hildesheimer FP-Konferenz diesem Thema annäherte, und möchte dieses mit Fokus auf den linguistischen Handlungsbegriff fortführen.
Wie mit Blick auf Einführungen und Handbücher schnell klar wird, fällt die Bilanz recht enttäuschend aus. Für viele einschlägige Publikationen kann man mit Hoffmanns (1996:193) Diktum feststellen: „Über Grundbegriffe redet man nicht. Man setzt sie voraus, appelliert an fragwürdiges Vorverständnis, definiert. Es gibt Wichtigeres.“ Häufig sind dabei sprechakttheoretische Festlegungen noch nicht überwunden. Auseinandersetzungen, wie sie etwa in den 1980ern in der ZGL geführt wurden (etwa um Holly et al. 1984), scheinen vergessen. Demgegenüber wirken aus praxeologischen und posthumanistischen Diskursen interdisziplinäre Reflexionen zum Handlungsbegriff in die Linguistik hinein (bspw. Niemann 2018; Pennycook 2018). Diese Gemengelage mit dem funktional-pragmatischen Handlungsbegriff (Rehbein 1977, Ehlich/Rehbein 1977, Kameyama 2004) zu konfrontieren, ist Ziel des Vortrags.
Literatur
Ehlich, K./Rehbein, J. (1979): Sprachliche Handlungsmuster. In: Soeffner, H.-G. (Hg.): Interpretative Verfahren in den Sozial- und Textwissenschaften. Metzler, 243–274.
Hoffmann, L. (1996): Satz. In: Deutsche Sprache 24 (3), 193–223.
Holly, W./Kühn, P./Püschel, U. (1984): Für einen „sinnvollen“ Handlungsbegriff in der linguistischen Pragmatik. In: ZGL 12 (3), 275–312.
Kameyama, S. (2004): Verständnissicherndes Handeln. Waxmann.
Niemann, R. (2018): Wissenschaftssprache praxistheoretisch. De Gruyter.
Pennycook, A. (2018): Posthumanist Applied Linguistics. Routledge.
Rammert, W. (2016): Technik – Handeln – Wissen. 2. Auflage. VS.
Rehbein, J. (1977): Komplexes Handeln. Metzler.
Thielmann, T./Schüttpelz, E. (Hg.) (2013): Akteur-Medien-Theorie. Transcript.
11.20 Uhr
Doris Höhmann (Bologna)
Wege mehrsprachiger Kulturarbeit: der “Giardino poliglotta” des Uni-Campus in Forlì
Die kulturpolitische Initiative „Il Giardino poliglotta del Campus di Forlì“, die 2019 von der damaligen „Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit“ des Dipartimento di Interpretazione e Traduzione der Universität Bologna ins Leben gerufen wurde, verfolgt sowohl sprach- und kulturwissenschaftliche als auch soziopolitische Zielsetzungen. Über die Förderung von Sprachkenntnissen und die populärwissenschaftliche Vermittlung von Wissensbeständen verschiedener Fachrichtungen hinaus setzt der Giardino poliglotta es sich u.a. zum Ziel,
tradierte und neue Wege mehrsprachiger Kulturarbeit zu erkunden und dabei bspw. Einblicke in Wissensmanagementsysteme zu vermitteln
ein tieferes Verständnis individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit zu fördern
die gesellschaftliche Bedeutung innerer und äußerer Mehrsprachigkeit aufzuzeigen und näher zu untersuchen
die Potentiale und Grenzen KI-gestützter Technologie auf dem jeweiligen Stand auszuloten und zu veranschaulichen
die Sprachvermitteltheit von Wissensbeständen und kultureller Sinnstiftung zu erhellen.
Nicht zuletzt soll mit dem Giardino poliglotta ein Beitrag zur Qualität gesellschaftlichen Zusammenlebens geleistet werden: zum einen durch die Veranstaltung kleinerer Events, die nicht nur allgemein das Kulturangebot der Stadt bereichern, sondern auch den Zugang zu fachlichen Inhalten erleichtern sollen und Anlässe zu Gesprächen schaffen, zum anderen durch eine gezielte Förderung des sozialen Zusammenhalts, indem die verschiedenen am Campus-Leben beteiligten Akteure und Akteurinnen in die Projekt-Aktivitäten konkret einbezogen werden und Networking betrieben wird.
Geschaffen wird ein Rahmen, in dem ausgehend von der Beschäftigung mit konkreten Beispielen aus der unmittelbar erfahrbaren Umgebung im Park (etwa dem Baumbestand) forschendes Lehren und Lernen zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten möglich wird. Von besonderem Interesse im Zusammenhang mit dem Tagungsthema „Sprachliches Handeln in kulturellen Domänen“ ist dabei die Auseinandersetzung mit Kulturprodukten, die – entsprechend der Online-Gestaltung des Giardino poliglotta – über die im Web stattfindende Kommunikation im Kultursektor erfolgt.
Anhand ausgewählter Beispiele (u.a. Joseph Beuys‘ documenta-Projekt „7000 Eichen“) sollen Einblicke in die bisherige Projektarbeit vermittelt und weitere Entwicklungslinien aufgezeigt werden.
Literatur (Auswahl)
Busse, Dietrich (2012): Frame-Semantik. Ein Kompendium. Berlin, Boston: De Gruyter.
Giacomini, L. (2023). 6. Terminologiearbeit und Wissensmanagement. In: V. Atayan, T. Metten & V. Schmidt (Ed.), Handbuch Sprache in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik, 167-190. Berlin, Boston: De Gruyter.
Földes, C. & Roelcke, T. (2022). Handbuch Mehrsprachigkeit. Berlin, Boston: De Gruyter. https://doi.org/10.1515/9783110623444.
Hausendorf, H. & Müller, M. (2016). Handbuch Sprache in der Kunstkommunikation. Berlin, Boston: De Gruyter. https://doi.org/10.1515/9783110296273.
Höhmann, Doris (2023): „Zur Arbeit mit Parallel- und Vergleichstexten. Überlegungen zu einer Neuverortung.“ In: Gärtig-Bressan, Anne-Kathrin/Magris, Marella/Riccardi, Alessandra/Rocco, Goranka (Hrsg.): An der Schnittstelle von deutscher Sprache, Literatur und Translation. Festschrift für Lorenza Rega zum 70. Geburtstag / Intersezioni tra lingua tedesca, letteratura e traduzione. Saggi in omaggio a Lorenza Rega per il suo 70mo compleanno. Peter Lang, Frankfurt a.M., 65-77.
Roelcke, Th. (2020). Fachsprachen. Berlin: Schmidt.
Nardi, A., Ravetto, M. (2023): Museumskommunikation als Dimension der Kunstkommunikation. Objekt- und adressatenorientierte Facetten. LINGUISTIK ONLINE; 124/6.
Wengeler, Martin / Ziem, Alexander (Hrs.) (2018): Diskurs, Wissen, Sprache: linguistische Annäherungen an kulturwissenschaftliche Fragen. Berlin/Boston: De Gruyter Mouton.
11.40 Uhr
Hans Drumbl (Bozen)
Giftschrank und Schatzkammer
In ihrem ersten Roman »Alles zählt« schildert Verena Lueken - 30 Jahre Auslandskorrespondentin der FAZ - die Erfahrungen mit ihrer dritten Lungenkrebsoperation. In ihrem zweiten Roman gesteht die Protagonistin, eine hochkarätige Journalistin: »Die Magazine, die ihre Sachen druckten, lagen solide in der Mitte des Marktes und trauten ihrer Leserschaft nur mittlere Vorstellungskräfte zu, wenn sie über Orte lasen, an denen sie möglicherweise einmal einen Urlaub verbringen, einen Betrieb gründen, ein Ferienhaus kaufen oder eine Zweigstelle ihrer heimischen Firma eröffnen wollten. Deshalb musste aus den Geschichten gestrichen werden, was etwas am Rand lag.« Verena Lueken schreibt und erzählt, was sie weiß. Ich möchte heute nicht weniger sagen als diese starke Frau.
In mehr als einem halben Jahrhundert gelebter Distanz zur Germanistik als Institution für Großprofessoren habe auch ich meine kleine Sammlung in den Giftschrank gestellt. Hier in Bergamo, an der Universität, an der 1969 meine akademische Laufbahn begann, hole ich einige Blätter aus dem Schrank. Der Anlass ist nicht so sehr unsere Tagung, sondern das Klima der Fake News, in dem wir alle gelandet sind - Lügen, Ungereimtes, Unsinniges, Unmoralisches, gegen das kein Widerstand möglich scheint.
Als Präambel gilt das Urteil, dass Intellektuelle, Forscher, Wissenschaftler, Denker sich mit einem einzigen Satz desavouieren können. Wer diesen Satz gesagt hat, wer ihn geschrieben hat, dem traue ich alles zu. Ich glaube ihm nicht mehr. Ich glaube ihm nichts mehr.
Nach dem Blick in den Giftschrank kommt das versöhnliche Ende. Drei kleine Sprachkunststücke zum Schmunzeln und Staunen und zum Schluss die schönste Gedichtinterpretation, die ich in meinem Leben gelesen habe.
12.00 Uhr
Jochen Rehbein (Hamburg)
Poetische Sprache. Form und Funktion in Paul Celans “Stimmen“ (1956/57)
In dem Beitrag soll der Verflüssigung, Verdauerung und Erfahrungsverarbeitung im lyrischen Text nachgespürt werden. Als Interpretandum ziehe ich (lediglich) einen Ausschnitt aus Paul Celans „Stimmen“ heran:
Stimmen, ins Grün
der Wasserfläche geritzt.
Wenn der Eisvogel taucht,
sirrt die Sekunde:
Was zu dir stand
in jedem der Ufer,
es tritt
gemäht in ein anderes Bild.
(P. C., Sprachgitter, in: Die Gedichte. Berlin: Suhrkamp, S. 95/96)
In dem Gedicht wirken sprachliche Prozeduren des Symbolfelds, des operativen Felds, insbesondere des Malfelds, minimale sprachliche Elemente und rhetorische Figuren zusammen, um historische Ungeheuerlichkeiten „festzuhalten“ (die seinerzeit von vielen der Gruppe 47 unter der Kategorie „Kahlschlagliteratur“ verdrängt wurden). Eine These ist, dass die biographische Konstellation ein Aufenthalt Celans am 21./22.7.1956 in Rochefort-en-Ivelins bei Rambouillet/Paris ein Ausgangspunkt gewesen sein dürfte.
Literatur
Paul Celan, Briefe 1934-1970, Barbara Wiedemann, Kommentare zu „Sprachgitter“, in: P. C., Die Gedichte, 735-781; Genette Figures IV; Szondi, Celan-Studien; Redder 2003, Ehlich 1997, Rehbein 2014, 2017, Bourdieu
Abstract
(1) [21./22.7.1956, Rochefort-en-Ivelins]
Stimmen, ins Grün
der Wasserfläche geritzt.
Wenn der Eisvogel taucht,
sirrt die Sekunde:
Was zu dir stand
in jedem der Ufer,
es tritt
gemäht in ein anderes Bild.
(2)
Stimmen vom Nesselweg her:
Komm auf den Händen zu uns.
Wer mit der Lampe allein ist,
Hat nur die Hand, draus zu lesen.
(3)
Stimmen, nachtdurchwachsen, Stränge,
an die du die Glocke hängst.
Wölbe dich, Welt:
Wenn die Totenmuschel heranschwimmt,
will es hier läuten.
(4)
Stimmen, vor denen dein Herz
ins Herz deiner Mutter zurückweicht.
Stimmen vom Galgenbaum her,
wo Spätholz und Frühholz die Ringe
tauschen und tauschen.
(5) [3./4.7.1957, Verbier]
Stimmen, kehlig, im Grus,
darin auch Unendliches schaufelt,
(herz –).
schleimiges Rinnsal.
Setz hier die Boote aus, Kind,
die ich bemannte:
Wenn mitschiffs die Bö sich ins Recht setzt,
treten die Klammern zusammen.
(6) [Juni.1957, Paris]
Jakobsstimme:
Die Tränen.
Die Tränen im Bruderaug.
Eine blieb hängen, wuchs.
Wir wohnen darin,
Atme, daß
sie sich löse.
(7) [21./22.7.1956, Rochefort-en-Ivelins]
Stimmen im Innern der Arche:
Es sind.
nur die Münder
geborgen. Ihr
Sinkenden, hört
auch uns.
(8) 21./22.7.1956, Rochefort-en-Ivelins]
Keine.
Stimme – ein.
Spätgeräusch, stundenfremd, deinen
Gedanken geschenkt, hier, endlich
herbeigewacht: ein
Fruchtblatt, augengroß, tief
geritzt: es
harzt, will nicht.
vernarben.
12.30 Uhr
Gemeinsame Diskussion
am Nachmittag
Möglichkeit einer Führung durch die Ausstellung Mura di Bergamo Museo delle Storie di Bergamo